der Geldbeutel

 

Der Abend senkt sich über die ruhelose Stadt und hüllt die Häuser in sein heimliches Dunkel. Das geschäftige Treiben der Leute wird müde. Bald wird es zu Ende sein. Nur St. Peter streckt seine hellerleuchteten Türme wie zwei mahnende Finger in den nachtschwarzen Himmel und kündet die baldige Weihnacht. Vom nahen Neupfarrplatz weht der frostige Wind Posaunenklänge herüber. Dort stehen dicht gedrängt zahllose Menschen und schauen erwartungsfroh auf den Balkon der „Alten Wache“. Auf ihm haben sich die Honoratioren der Stadt eingefunden, um den „Christkindlmarkt“ zu eröffnen.      

Inmitten der Menschentraube zwischen Würstelbude und „lebensgrosser Krippe“ eingepfercht steht Adam. Eigentlich ist er nur wegen seines „Geschäftes“ gekommen, das er krampfhaft an den Leib presst. Die letzten Exemplare der „Donaupost“. Er hofft, sie heute noch an den Mann zu bringen. Ein Euro kostet das Stück; die Hälfte darf er behalten. Schließlich steht das Wochenende an und außerdem hat er heute noch nichts gegessen. Der weihnachtliche Glanz, der sich tausendfach in den Augen der Umherstehenden spiegelt gibt ihm beileibe nichts.

Mit seinen dreißig Jahren hat er schon zu viel erlebt. Der Vater, Alkoholiker, hat die kleine Familie verlassen. Adam hat ihn nie gesehen. Die Mutter ist viel zu früh gestorben. Adam war neun, und er hätte sie so notwendig gebraucht. Sein weiterer Weg ist vorgezeichnet. Das Heim, die Strasse, kleinere Delikte. Endstation Jugendarrest. Das ist vorbei.

Adam schnauft tief durch. In seiner Nase fängt sich der Duft von „Knackern“ und Glühwein. Es kommt Bewegung in seinen Magen, aber auch in die Menschenmassen. Der Oberbürgermeister hat soeben seine besinnlichen Worte beendet und eine frohe Weihnacht gewünscht. Beifall brandet auf. Adam sieht sich um und will sein Sprüchlein kund tun, das ihm jäh im Hals stecken bleibt. Ein vornehm gekleideter Herr mit Filzhut drängt sich an ihm vorüber. Die klammen Finger können  die wenigen Hefte nicht mehr halten. Adam schreit ihm ein wütendes „He !!“ hinterher. Dieser aber verschwindet mit einem sonoren: „Hallo Charlotte, hier bin ich ...“ in der Menge. Missmutig kniet sich Adam auf  das feuchte Pflaster um sein Geschäftskapital zu retten.. Eine heikle Angelegenheit zwischen den vielen Beinen, die wenig Rücksicht darauf nehmen.

„ Komm her, Bub, ich helf dir ! „ ein altes Mutterl beugt sich herunter und drückt ihm die noch wenigen, sauberen Hefte in die Hand. Adam bedankt sich bei ihr mit einem „Merci !“. Diese lächelt ihm aus tausend gütigen Falten zu: „Is scho recht. Und a frohe Weihnacht !“ Die Menge schluckt sie. Adam will sich erheben. Seine Hand mit der er sich abstützt spürt etwas. Er greift zu. Ein nigelnagelneuer Geldbeutel lacht ihm entgegen. Das Preisschild beweist es. Adam rappelt sich hoch und drückt sich in die Nische bei der „lebensgroßen Krippe“. Mit zittrigen Fingern öffnet er das geschmeidige Leder. Zischend zieht er die kalte Luft zwischen den Zähnen hindurch. Drei grüne Scheine lugen daraus hervor. Dreihundert Euro! Sonst nichts, keine Adresse und kein Hinweis auf den Besitzer.

Adam überschlägt die Summe im Kopf. Knappe sechshundert Mark. Suchend lässt er seinen Blick schweifen. Wer wohl dieses kleine Vermögen verloren hat ? Die Mutter da drüber vielleicht ? Sie kauft ihrem Kleinen gerade eine Tüte Krachmandeln. Aber sie bezahlt ? Die kann es nicht sein. Adam mustert eingehend die Vorübergehenden und versucht sie nach dem Wert des Gefunden einzuordnen. Eine sonore Stimme klingt an sein Ohr :“ Komm Charlotte, wir gehen !“ Der vornehm gekleidete Herr mit Filzhut geht mit einem fröhlichen Lachen und einer Brünetten am Arm an ihm vorüber. Adam kombiniert schnell. Der komfortable Geldbeutel und die Höhe der Summe könnten passen. Sofort heftet er sich an die Ferse der beiden, die turtelnd Richtung der Kirche schlendern. Sein Gehirn gleicht jetzt einer Rechenmaschine. Zehn Prozent Finderlohn sind gleich dreißig Euro. Darauf hat er Anspruch. Dazu Schadenersatz für mindestens sechs verschmutzte Hefte, sind noch einmal sechs Euro, von denen ihm drei bleiben. „ Ach was, verlang ich zehn Hefte, das sind glatte fünf Euro für mich ! Das sind auf jeden Fall zwei Knackersemmeln und ein Glühwein!“  Adams Laune verbessert sich zusehends. Er schaut innerlich rechnend nicht links und nicht rechts und bemerkt erst jetzt, dass der Strom der Schaulustigen die beiden schon längst verschlungen hat.

Verwirrt steigt er die steinernen Stufen der Neupfarrkirche hinauf und hält Ausschau über die vielen Köpfe der drängenden Masse. Aber kein Filzhut, keine Charlotte. Adam überlegt erneut. Dreihundert Euro und kein vornehmer Herr mehr. Damit könnte man schon mehr anfangen als mit läppischen vierzig. Eine neue Jacke vielleicht ? Die alte tät es zwar auch noch, aber sie ist an verschiedenen Stellen doch schon ein wenig durchgescheuert. Neue Schuhe wären von nöten. Ein gebrauchter Fernseher. Er könnte seinen Freunden auch mal einen ordentlichen ausgeben. Seine Phantasie schlägt jetzt Kapriolen. Was er sich auch ausmalt, im selben Augeblick verblasst der Gedanke. „Ob ich doch zur Polizei gehe ?“ Unbehangen kriecht in seinem Körper hoch. Wie oft hat er in den kahlen Amtsstuben unangenehme Fragen beantwortet. Das Schlagen der Kirchturmuhr reißt ihn aus seinen Überlegungen. Er nimmt es als Omen. „Setz ich mich halt erst einmal in die Kirche. Dort ist es zumindest wärmer als auf der Strasse. Vielleicht fällt mir dort noch etwas Besseres ein.“

Adam öffnet die schwere eichene Türe und tritt ein. Sie fällt hinter ihm krachend wieder ins Schloss. Die wenigen Leute, die sich in den Bänken verlieren  sehen ihm nur kurz ins Gesicht und wenden sich wieder ihren Problemen zu. Adam rückt in eine der letzten Bankreihen und setzt sich. Er schließt die Augen und genießt die Stille. Fast am Einschlafen holt ihn ein Geräusch in die Wirklichkeit zurück, das er nur zu gut kennt. Das Schluchzen eines zu Tode betrübten Menschen. Es kommt aus der Bank hinter ihm, die im Dunkel der Empore liegt. Adam kann nicht erkennen, wer dort gekrümmt, den Kopf in den Händen vergraben sitzt. Er beugt sich weit nach hinten und fragt leise : „ Kann ich helfen .. ?“

Die Person hebt langsam den Kopf und aus tausend Falten schaut die Betrübnis der ganzen Welt hervor. Bittere Tränen rollen aus rotgeäderten Augen, die gar nicht mehr so fröhlich blicken, wie noch eine Viertelstunde zuvor. „ Mir kann koana helfen. Mei ganze Renten, hab ich verlorn. Sechshundert Mark san beim Teifi...!“ Die Würde des Hauses verzeiht ihr. „ Und der neuche Geldbeutel aa, den i mir zum Christkindl kauft hab. Was soll denn bloss werdn ...?“ Der Schmerz schneidet ihr den Satz ab.

In Adams Hals bildet sich ein  Klos. Er umklammert den niegelnagelneuen Geldbeutel, gibt sich einen Stoss und hält ihn der Frau vor die Nase. „Ist er das ?“ Das Mutterl bekommt kreisrunde Augen und schaut ihn ungläubig an. „Ja, Bub, woher ....?“ Diesmal ist es die Freude, die sie stocken lässt. Adam räuspert sich verlegen : „Gfunden hab ich ihn.“ sagt er, „ und es ist alles noch drin ? setzt er stolz und dankbar dazu, die Verantwortung los zu sein. Die tausend Falten verklären sich zu einem strahlenden  Lächeln. „ Bub, für mi bist du heut es Christkindl gwesn.“  Dankbar drückt sie Adam immer wieder die Hände. Adam wird rot aber er weiß jetzt; es wird ein schönes Weihnachtsfest.